U-Bahn fahr’n

„Verzeihung, darf ich mal meinen Koffer hier abstellen, bitte?“

Mit diesen Worten betrat kürzlich ein glattgescheitelter Jungschnösel am frühen Morgen mein U-Bahn-Abteil, im Schlepptau einen sehrsehrsehr überdimensionierten Rollkoffer.

Mein erster (und im Endeffekt ja auch letzter) Eindruck von ihm war insgesamt kein positiver, was sowohl in seiner mir auf Anhieb unangenehmen Erscheinung als auch im vorgetragenen Anliegen begründet lag, welches mir ja Bewegung abverlangen sollte. Ein Zuviel an Bewegung empfinde ich besonders morgens als Zumutung, das hätte er ahnen können. Und von Fremden angesprochen wird man morgens auch ungern. Das ist Gesetz, das hätte er wissen müssen.
Allerdings aber hatte er ja „bitte“ gesagt, also verbot mir meine gute Kinderstube eine unfreundliche Ansage in seine Richtung. Eine freundliche wollte mir aber auch nicht über die Lippen kommen, und so beschränkte ich mich auf ein kurzes Nicken, welchem ich ein der Situation angemessen genervtes Ausatmen beifügte. Danach trat ich zweieinhalb Schritte zur Seite (einer hätte nicht ansatzweise genügt. So sehrsehrsehr überdimensioniert war der Koffer).
Schließlich sagte der Jüngling „Danke“, und ich entgegnete, wenn auch leise, „Hrmpf.“

Damit würde dieser Text hier enden, hielte ich mich nur an die Fakten. Dies wäre zwar edel, aber im gleichen Maße idiotisch, da die Szene ja nun überhaupt nichts von Interesse hergibt. Kein politisches Statement, keine oberlehrerhafte Weisheit, noch nicht mal schlimmen Humor. Nichts. Also hätte sie überhaupt nicht aufgeschrieben werden müssen, was ja aber nun mal unglücklicherweise schon passiert ist. Und immerhin ein klein wenig Mühe hat das Aufgeschreibe bis hierher auch schon gemacht, da fällt es mir nicht so leicht, hier jetzt holterdipolter alles wieder wegzulöschen. Zudem glaube ich, dass all die bisher verwendeten Blogstaben sicherlich auch ziemlich enttäuscht wären, nähme ich ihnen nun das Leben.
Ich bin so nicht.

Stattdessen möchte ich, gewissermaßen als schmückendes Beiwerk, dem flauen Geschichtelein den nun folgenden komplett ersponnenen Dialog zwischen zwei komplett ersponnenen Mitfahrgestalten zufügen. In meiner Phantasie handelt es sich hierbei um zwei befreundete Frührentner namens Hubat und Kulle, die beigefarbene Windjacken und Schirmmützen tragen, ihr Reiseziel nicht nennen, ihre Herkunft dagegen aber nicht so recht verbergen können.

„Kiek ma, wat für’n Riesenkoffa!“

    „Dit is keen Koffa, dit is ’n Schrank!“

„Alladinx. Jibt Menschn, die uffm Raum von so’n Koffa wie den lehm müssen.“

    „Echt jetze?“

„Klar, ey. Kannste übaall nachlesn. Übaleg da dit ma! Die ham da dann ooch keen fließend Wassa und allet.“

    „Und Heizunk hamse da dann manschma ooch nich.“

„Hier, aber Kolleje Mostrich mit sein Mejakoffa, der hat da drinne bestümpt sojar ’n Bidet, oda wat!“

    „Janz sicha. Weeß ick ja ooch nich, wie die Piepels dit heutzutare allet so jebackn krieng. Allet watse wolln, hamse ooch.“

„Ja, und dann aba ooch imma glei von Feinstn. Is nüscht mit hier so Kick oda Schibo. Nee, immer glei so richtee. Kiek da ma an, dit fette Koffateiel. Mit Joldnieten ooch noch.“

    „Wo nehm die denn den Schotta her für dit allet? Ick meine, wat ham die denn bitte für Dschobs?“

„Keene Ahnunk. Du kannst ooch Frang stelln!“

    „Soll ick den ma frang?“

„Hör uff, Doh! Mit dit Juppivolk wollnwa ja wohl nüscht zu tun ham!“

    „Naja, villei issa ja ooch nur ’n Student, und den Koffa hatta sich von seine Oma jepumpt. Oda dit Jeld dafür.“

„Ditte? Dit is doch keen Student. Kiek do ma, wie der schon kiekt! Und außadem isset morjens um sieme. Student, wa?“

    „Stümpt, haste recht. Kann ja dann nich sein. Ey, pass ma uff, nachher is dit ’n Prinz, oda wat!“

„Klar logn! Kannste ma übalegn? Hier, der is so’n Prinz und fährt dann hier morjens um sieme in Kreuzberg mit de
U-Bahn sein Jepäck durch de Jejend, wa? Mannmannmann, Deine Fantasie will ick habn, ey!“

    „Na, viellei in so jeheima Mission. Wie in den Zamundafülm. Kennste?“

„Ick kiek keen Fernseha. Da wirste doch blöde von in Jehürn. Siehste ja nu grade supa an Dir, wa!“

    „Ey komm, dit war ja nur so’ne Übalejunk. Is ja wahrscheinlee jar nüscht dranne. Kannst da wieda abrejen.“

„Pöh, ick war ja noch jar nich mal großartich uffjerecht. Allet jut. Is ehmt halt nur keen Prinz, der Tüp.“

    „Nee, issa nich. Weil wenn, dann hätta ja ooch ürnkwie ’n Diena dabei. War in den Zamundafülm ooch so.“

„Ey, hörste jetze ma uff mit dit Zamundaprinzjelaba? Dit is ja schon fast ’ne Manie!“

    „Dit weeß man nie. Hoh hoh! Ey, vastehste? Manie – man nie! Hoh hoh!“

„Wer issen nu wieda Manni? Manchma wer‘ ick nich schlau aus Dein Jelaber. Ooch nach die janzen Jahre nich.“

    „Sollte ja nur ’n Ulk sein.“

„Ja, is jut. War ja ooch nich wichtich. Aber der Koffa, Alta, der Koffa. Um nochmal zurückzukomm uff dit Thema. Den kricht der doch uff keene Rolltreppe ruff.“

    „Na, dann mussa dit Teil ehmt schleppen. Dit mussa im Normalfall sowieso, weilwa hier ja schließlee nich in Monte Carlo sind oda wat, sondan inne Deutsche Hauptstadt. Und hier jehörtet ja nu ma zun juten Ton, dass Rolltreppen nich jehen.“

„Ja, wie solln die denn ooch jehn bitte? Ham die Beene?“

    „Jut. Nich jehen. Funxjoniern ehmt. Funxjoniern tun die nie. Dit ist doch längst Standard. Arm aba sexy, wa! Die janze Stadt.“

„Arm is klar. Aber wat issen an so’ne marode Rolltreppe nu bitte sexy?“

    „Na, pass uff: dit is nämlich ’ne total durchdachte Jeschichte. Vollet Kalkül, wennde mich fragst. Ne Offensive vonne Stadt, zusammen mitte BVG. Weil wenn die Teile imma kaputt sind und die Leute also loofen müssen, denn kriegense von janz alleene janz stahlharte Waden und allet. Is ja den janzen Orjanismus ooch zuträglich, wennde Dir bewejen tust. Bleibste vital von.“

„Ja, dann loof Du abba ooch ma mehr, Du Knallkopp! Hilfste den Knilch am besten glei ma seine mobile Zweezimmawohnung schleppen. Der will hier ooch raus.“

    „Meinste, soll ick?“

„Mann, denk doch bloß ma nach, ey! Dit jeht do jar nich.“

    „Warummen ditte nich?“

„Weil wa volle Kanne ausjedacht sind. Uns jibtet jar nich. Uns hat der Meia einfach nur afunden.“

    „Wie? So janz komplett?“

„Ja, sa’ick doch.“

    „Ooch die blöden Klamotten?“

„Ooch die Klamotten! Und unsre beklopptn Namen ehmso.“

    „Alta! Wat issen dit für eena?“

„Dit sa’ick Dir. Voll der Trop“

    „Ja, und nu?“

„Jetzt hört der glei uff mit dit Uffschreim.“

    „Und wat machenwa dann?“

„Kneipe?“

    „Nich ’n bisschen früh für Kneipe?“

„Ey, wir sind krass ausjedacht. Astunkn und alogn. Und von wen? Von den Meia. Also? Kneipe!“

    „Jut. Kneipe.“

„Schüss, Meia, Du Krepel.“

    „Ja, von mir ooch Schüss!“

Tschüss, Männer!

2 Kommentare

  1. Oh doch…sehr zum aushalten. Ja, UNTERhalten sowieso :D Ick will mehr von Meias Jehirnfilmchen!!! Und wie er alles IMMER so toll in Worte fasst – herrlich!!!

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