Der frühe Vogel lässt sich auch nicht alles gefallen

Heute Morgen wurde ich Zeuge eines für einen Großstädter nicht unbedingt alltäglichen Schauspiels.

Ich lief auf dem Weg zum Büro am Spreeufer entlang und erblickte im Laub zunächst eine Gruppe Krähen, die schon auf den ersten Blick einen recht aufgeregten Eindruck machte. Ich kam näher und entdeckte in ihrer Mitte einen Falken, der soeben eine Taube verspeiste. Abwechselnd sah er seine Beute und die lauernden Krähen an, 6 an der Zahl, und noch bevor ich die Gelegenheit hatte, überhaupt auf den Gedanken zu kommen, die Szenerie fotografisch festzuhalten, hatte er mich bemerkt. Mit einer blitzschnellen Bewegung rammte er seine Krallen fest in den Taubenkadaver und hob mit ihm in Richtung des Wassers ab.

Dies hielt ich noch für eine nachvollziehbare Aktion, nicht jedoch das, was die Krähen taten: sie flogen sofort ebenfalls los, verfolgten den Falken und attackierten ihn im Flug.

Gemeinsam landeten alle etwa 20 Meter entfernt, in meiner Wegrichtung, und kaum waren sie am Boden, ließen die Krähen wieder vom Falken ab. Erneut hatten sie sich um ihn herum positioniert und beobachteten ihn nervös, doch verhältnismäßig friedvoll beim Fressen.
Ich war inzwischen langsamer geworden und hatte die Vorbereitungen getroffen, ein Foto zu machen. Gerade, als ich glaubte, nah genug dran zu sein, nahm der Falke wieder Notiz von mir, krallte sich die Taubenleiche und erhob sich mit ihr abermals in die Luft. So weit, so absehbar.

Ich erwartete nun, dass ihm die Krähen ein weiteres Mal folgten. Ich war zwar immer noch überrascht darüber, dass sie sich dem Falken im Luftkampf offenbar überlegen fühlten, fand das geradezu absurd, nahm es nun aber als gegeben hin. Und so ähnlich geschah es auch: die Krähen flogen ihm hinterher, holten ihn kurz darauf ein und bearbeiteten ihn im Fliegen mit Krallen und Schnäbeln. Jedenfalls 5 der 6 Krähen.

Jene 6. flog genau auf mich zu. Griff mich an. Schreiend. Wollte mich Störenfried verjagen.

Ich bekam das recht spät mit, weil ich ja in Richtung der anderen Vögel geschaut hatte. Der angreifende Kollege war noch etwa einen Meter von meinem Gesicht entfernt, als ich ihn bemerkte und mir der Gefahr bewusst wurde, in der ich angesichts dieses wütenden, aus der Nähe betrachtet doch sehr stattlich erscheinenden Kawenzmannes schwebte.

Mir blieb nicht viel übrig, als mich zu ducken. Die Krähe flog über mich hinweg, drehte um, kam zurück und startete einen neuerlichen Vorstoß. Im Hocken ergriff ich einen herumliegenden Ast, erhob mich und wedelte mit ihm in der Luft herum. Ich glaube, ich schrie auch leicht hysterisch, in der Hoffnung, dem Federvieh damit Einhalt gebieten zu können.

Für einen Menschen sah das sicherlich eher amüsant aus, auf die Rabenbestie schien es aber Eindruck zu machen. Und so drehte sie ab und bewegte sich in Richtung seiner Kumpels, die ihrerseits bereits wieder um den Falken herum saßen, etwa an der Stelle, wo ich sie 3 Minuten zuvor das erste Mal erblickt hatte.

Im Flug drehte Nummer 6 noch einmal den Kopf in meine Richtung und schrie irgendetwas. Ich ahnte, was in etwa er damit sagen wollte, warf meinen Stock weg und rief ihm hinterher: „Jaja, is ja jut! Ick jeh dann einfach mal. Kiek! Siehste?“

Von diesem Erlebnis, besonders aber vom Wagemut des Vogels beeindruckt startete ich meinen Arbeitstag.

Und wo ich gerade beim Wagemut bin: folgendes Filmchen zeigt ein sehr tapferes, außergroßstädtisches Kerlchen, an dem ich mich nicht sattsehen kann: Kleinman, den Honigdachs.

Wer den nicht sofort in sein Herz schließt, den soll die Krähe beim Scheißen treffen. Oder so.


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